Vier Fragen an Gaby Milla


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Die Zeit der Corona-Krise nehme ich sehr differenziert und ambivalent wahr. Einerseits dehnt sie sich, andererseits ist sie einfach so dahingeflogen, zwischen den Fingern zerronnen.  Erfüllte Augenblicke, leere Erinnerungen, eine wenig greifbare Zukunft mischen sich in meiner Wahrnehmung.
Es gab so unterschiedliche Phasen: beim 1. Lockdown hatten wir gerade erst einige wenige Male „Die Wunderübung“ gespielt mit bester Zuschauerresonanz, dann wie ein plötzlicher Absturz die Schließung der Theater, daraus resultierend eine Art Schockstarre. Der 1. Lichtblick: die Theater dürfen mit Auflagen wieder öffnen. Und schließlich die große Freude: die Stadt Speyer stellt uns die Heiliggeistkirche als Ausweichspielstätte zur Verfügung. 
Unser ZimmerTheater Team war dann sehr beschäftigt mit der Erstellung von Hygienekonzepten und der Umrüstung der Kirche; wir haben richtig viel gearbeitet. Pure Glücksgefühle im August nach der Eröffnung bei der Premiere „Leben bis Männer“. Das fühlte sich gut an, auch mit Auflagen und Abstand gab es sehr schöne Theater- und Musikerlebnisse. Unsere 2. Eigenproduktion hatte im Oktober Premiere: „Gut gegen Nordwind“. Die Gäste spendeten viel Lob für unsere Konzepte und die gelungene Theateratmosphäre und es gab sehr positive Kritik für unsere Produktionen. Die Schauspieler*innen und Musiker*innen lebten genau wie die Gäste wieder auf; es schien, als ob alle die kulturellen Ereignisse geradezu in sich „aufsaugten“. So hätte das weitergehen können. Doch dann der 2. Lockdown. Bei allem Verständnis für Maßnahmen machte sich Enttäuschung breit, eine gewisse Resignation und Melancholie waren nicht nur bei mir zu spüren.
Doch der Zuspruch unserer Mitglieder und Gäste in Form von Feedback, Aufmunterung und Spenden half uns dabei, positiv nach vorne zu schauen. Die gezeigte Solidarität und Verbundenheit haben uns alle überwältigt und wir konnten erneut Spenden direkt an unsere Künstler weitergeben.
Wir pflegen auch in dieser Zeit sehr bewusst die Gemeinschaft in unserem Team, tauschen uns virtuell aus und ermuntern uns gegenseitig. Zwar ist unsere Planung schon lange hinfällig und eine Perspektive für die Öffnung der Kultureinrichtungen fehlt nach wie vor - doch wir stehen in den Startlöchern und sind bereit. Sobald die Theater wieder öffnen können, wird unsere nächste Eigenproduktion „Endgeil“ Premiere feiern - und natürlich nehmen wir auch die vorherigen Produktionen wieder auf.
Ich persönlich fiebere diesem Moment entgegen - genauso wie dem ersten Rumble Jam und dem Vinyl Club. Mir fehlen Theater und Livemusik sehr. Das ist mir noch einmal besonders bewusst geworden in dieser Zeit der Krise, die mir auch Zeit und Raum gegeben hat, zu reflektieren, was mir persönlich wirklich wichtig ist.
Der Kontakt und die echte Begegnung mit Menschen, in der Gemeinschaft Kultur erleben und reflektieren, aber manchmal auch „nur“ genießen, zusammen zu lachen - und auch zu weinen, sich verbunden fühlen, Inspiration erhalten, nach einem Theater- und Musikabend unterschiedlichste Perspektiven auszutauschen, bei einem Glas Wein in der Speyrer Gastronomie die Zeit zu vergessen - das ist Lebenselixier, öffnet mein Herz und lässt mich strahlen.

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

Aus Sicht des ZimmerTheaters war die Unterstützung der Stadt Speyer sehr positiv, vor allem die Möglichkeit, die Heiliggeistkirche als alternative Spielstätte nutzen zu können.
Mit dem dort umgesetzten Hygienekonzept konnten wir fast ebenso vielen Zuschauer*innen einen Platz bieten wie vor Corona im Zimmertheater. Zudem gab es Zuschüsse aus dem Topf „Speyer.Kultur“ - eine wirklich gelungene Initiative -, die wir für die Umrüstung der Kirche in eine Spielstätte mit funktionierenden Hygienekonzepten und Wohlfühl-Atmosphäre genutzt haben.
Darüber hinaus haben wir bisher keine offiziellen Hilfspakete erhalten. Wir hoffen, dass wir bei der Novemberhilfe des Bundes dabei sind.
Da wir ein gemeinnütziger Verein sind, keine Gewinne erzielen müssen und Organisation und Betrieb des Theaters mit Ehrenamtlichen „stemmen“, konnten wir die Spenden von Mitgliedern und Gästen in Form von erhöhten Mitgliedsbeiträgen und Spenden eins zu eins an unsere Künstler*innen weitergeben.
Deren Situation hat sich inzwischen drastisch verschlechtert. Konnten wir über Sommer noch Auftrittsmöglichkeiten bieten, so ging ab November nichts mehr - und es gibt nach wie vor keine Perspektive. Die Gespräche mit den Künstler*innen haben uns gezeigt, dass die Hilfspakete von Bund und Land Anfang des Jahres nicht auf deren Lebensrealität und Bedürfnisse zugeschnitten waren. Die November- und Dezemberhilfen sind bisher noch nicht angekommen, Rückzahlungsszenarien verunsichern derzeit die Solo-Selbstständigen, und insgesamt ist das ganze Procedere sehr bürokratisch und braucht einen langen Atem.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Konkret bezogen auf das ZimmerTheater in Speyer werden wir aufgrund unserer speziellen Situation (ein professionelles Theater, betrieben von einem gemeinnützigen Verein mit Ehrenamtlichen) auf jeden Fall wieder Programm bieten und im Rahmen unserer Möglichkeiten Künstler*innen Auftritte ermöglichen. Das gilt schwerpunktmäßig für den Bereich „Theater“, also darstellende Kunst, aber auch die Sparte Musik wird vertreten sein. Allerdings sind auch unsere Ressourcen begrenzt.
Die Frage wird sein, wie das Angebot angenommen wird. Gibt es ein großes Nachholbedürfnis nach so langer „Abstinenz“ - oder reduzieren Angst, Vorsicht oder die eigene wirtschaftliche Situation die Nachfrage. Wir hoffen jedenfalls auf viele Menschen, denen es so geht wie uns: ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos (frei nach Loriot). Und live ist definitiv das bessere Digital.
So wichtig Live-Streams von Konzerten auch waren und sind, so sehr gibt es meiner Einschätzung nach doch eine Müdigkeit bei den digitalen Formaten. 
Ob Arbeit, Homeschooling, Treffen mit Freunden, Konzerte, Lesungen, …  - alles spielt sich überwiegend virtuell ab und erschöpft sicher nicht nur meine Augen und meinen Geist.
Generell wird sich die Kulturbranche aus meiner Sicht schon verändern.
Natürlich wird es weiter Kultur geben. Krisen bringen oft neue Ideen und Kunst war auch in den schwersten Zeiten in der Geschichte ein (Über-)Lebenselixier.
Doch für die Künstler*innen gehören eben auch der Auftritt, die Kommunikation, die Interaktion dazu. Bleiben diese über einen längeren Zeitraum aus, kann auch die Kreativität auf der Strecke bleiben, insbesondere dann, wenn die Sorgen um Zahlung der Miete und Sicherung der eigenen Existenz das Gedankenkarussell unermüdlich antreiben. 
Gerade Solo-Selbstständige, kleine Bühnen, Musikclubs und eine Veranstaltungsbranche, der auch auf längere Sicht sämtliche Events wegbrechen, benötigen (finanzielle) Unterstützung - und gleichzeitig das Verständnis der Menschen, dass „Kultur-Arbeiter*innen“ ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil einer humanen Gesellschaft sind.

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Mit Erwartungen ist das so eine Sache - erwarte nichts, dann wirst Du auch nicht enttäuscht. Ernsthaft, ich befürchte, dass Kultur und Kulturschaffende nicht die Lobby haben, derer es bedürfte - und dass die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme die Schwerpunkte noch mehr verschieben. Daher müssen wir uns als Künstler*innen und Kulturschaffende solidarisieren und Dinge konsequent einfordern. Das beginnt damit, dass Kultur als Thema auf der Agenda der Politiker*innen ist- und das nicht nur bei (Podiums-/Online-) Diskussionen vor Wahlen. Dies bedeutet u.a. auch, die große Bandbreite und Unterschiedlichkeit in dieser Branche zu sehen und zu würdigen und Konzepte zu erstellen und umzusetzen, die nicht nur die großen Theater fördern, sondern auch die vielen Solo-Selbständigen anerkennen und unterstützen, die auf, hinter und neben der Bühne agieren, Kunstwerke erschaffen und aus einer humanistischen Gesellschaft nicht wegzudenken sind.


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