Vier Fragen an Stefan "Hering" Cerin


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Da ich in meiner Tätigkeit als solo-selbstständiger Musiker mit u.a. kleinen flexiblen Band-Projekten, Unterrichtstätigkeit privat und als Honorarkraft an der Musikschule der Stadt Speyer, Dienstleister als Musiker und DJ im Event- und Unterhaltungsgeschäft sehr vielfältig aufgestellt bin, erlebe ich auch diese Zeit aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zugleich. Was vor der Krise manchmal als Manko empfunden werden konnte, also keines dieser Betätigungsfelder als einziges Standbein richtig groß ausgebaut zu haben bzw. ausbauen zu können, erweist sich nun als Vorteil in der Krise.
Im Frühjahr wurde, so mein Empfinden, der "Lock-Down", bei uns ja lediglich eine allgemeine Ausgangsbeschränkung bei gleichzeitiger Stilllegung der Unterhaltungs- und Eventbranche, in manchen Kreisen geradezu romantisiert. Klar, als Musiker bin ich oft und gerne allein mit meinem Instrument, ein Aspekt, der einem in diesen Zeiten durchaus helfen kann, so man keine existentielle finanzielle Not zu fürchten hat und eine komfortable Wohnsituation sein Eigen nennt. Und mit meinem ausgeprägten Interesse am musikalischen Weltgeschehen wurde und wird mir ja sowieso nie langweilig. Da gibt es immer wieder was zu entdecken, zu erforschen, zu recherchieren und das ist in diesen digitalen Zeiten ja einfacher als je zuvor! Auch hatte ich auf einmal mehr Zeit zum Üben, die ich, mit Blick auf die paar wenigen stattgefundenen Konzerte/Auftritte, u.a. dank Speyer.Kultur.Support im Sommer, gerne genutzt habe.
Der Unterricht wurde, so gut es ging, erstmal online abgehalten, was ganz spannend war/ist. Hier hat sich die Krise, auch dank des immensen Engagements von Musikschulleiter Bernhard Sperrfechter als Chance erwiesen, das Thema Digitalisierung im Bildungsbereich ernsthaft anzugehen und umzusetzen.
Richtig viel zu tun habe ich gerade, bzw. hatte ich bis jetzt noch, der zweite Lockdown schiebt dem nun auch einen Riegel vor, mit dem Trommelgarten-Konzept der Firma BAFF aus Mutterstadt, das mein Kollege Ricardo Espinosa entwickelt hat, und mit speziell gefertigten Kinder-Cajons (für die Laien: das sind diese Sitzkistentrommelhocker) richtig Schwung und Rhythmus in die KiTas bringt. Damit konnte ich das Wegfallen der Konzerte ganz gut verschmerzen. Zudem durfte ich auch viel Solidarität erfahren, wenn z.B. die Gage für (hoffentlich) nach 2021 verschobene Engagements mir schon im Voraus gezahlt wurde, oder Freunde und Bekannte mich spontan für eine Online-Feier als Entertainer gebucht haben und Musikerkolleg*innen, die im Haupterwerb einem gut bezahlten Brotjob nachgehen, großzügig auf ihren Anteil der Gage verzichtet haben. Auch bei den Gelegenheiten, zu denen die Gage sich teilweise oder gar gänzlich aus Spenden- und Hutgeld generiert (z.B. Rumble Jam im Zimmertheater; DJ-ing im I-Hof-Garten, Biergartenfrühschoppen usw.) war zu spüren, dass die Leute im Durchschnitt tiefer als sonst in ihren Geldbeutel greifen und verstanden haben, dass gute musikalische Unterhaltung (jetzt bitte hier NICHT über Geschmack streiten) nicht einfach so vom Himmel fällt, auch wenn man das gemeinhin in unserer heutigen Zeit so empfinden könnte. Leider musste ich auch erleben, dass bei zwei Kollegen die entstandene Belastung durch die Krise und das Wegfallen der Konzertsituation als wichtiges Lebenselixier und Ventil ein Fass zum Überlaufen gebracht und diese in den Suizid getrieben hat. Das macht mich noch immer fassungslos und umso dankbarer, dass ich bislang glimpflich durch diese Krise gekommen bin. Dabei waren und sind nicht zuletzt die Familie und Freunde ein wichtiger Anker.

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

In meiner speziellen Situation funktioniert das nur bedingt, bislang habe ich lediglich das Projektstipendium des Landes RLP (2 x 2000 €) und die Soforthilfe der Stadt Speyer (2x 500 €) in Anspruch genommen. Als Solo-Selbstständiger generiere ich eher überschaubare Unkosten (Proberaum, Lagerraum, Büro in der Wohnung), deren Erstattung den in meinen Augen immensen damit verbundenen bürokratischen Aufwand nicht rechtfertigen würde. Zudem befinde ich mich als Honorarkraft der Musikschule der Stadt Speyer in einer Grauzone (Stichwort Scheinselbstständigkeit), was die Antragstellung nochmal enorm verkompliziert. Und einmal erhaltene Unterstützung dann am Ende doch wieder zurückzahlen zu müssen ist eine mehr als unangenehme Situation, die einige Kollegen erleben mussten. Die vielbeschworene unbürokratische Hilfe greift bei mir nicht. Die in Aussicht gestellte Entschädigung von 75% des Umsatzes aus künstlerischen Tätigkeiten für den Monat November steht noch aus. Immerhin etwas. Bislang konnte ich mich aber immer irgendwie von Monat zu Monat hangeln, was für mich sowieso den Normalfall darstellt.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Wenn diese Krise vorüber ist - wann das sein wird, kann bis jetzt noch niemand wirklich abschätzen -, werden wir wohl erst wirklich sehen, wer und was alles auf der Strecke geblieben ist. Darüber kann ich nur spekulieren. Viele kleine Clubs haben bereits die Türen für immer dicht gemacht. Da, wo Kultur auf ehrenamtlicher Basis stattfindet (Beispiel Zimmertheater Speyer) ist eventuell ein längerer Atem vorhanden, nichtsdestotrotz zehrt auch hier die Krise an Kraft und Nerven, wenn ich beobachte, wie die immense Energie, die in Hygienekonzepte und Organisation gesteckt wurde, am Ende nicht helfen kann, den Betrieb wenigstens symbolisch vor einem Minipublikum aufrecht zu erhalten. Genauso geht es nun auch vielen Gastronomen.
Ob sich die Krise in anderer Form als Kahlschlag auswirken wird, bleibt abzuwarten. Stichworte sind da Streaming, Onlineveranstaltung, Videokonferenz usw. Für manche Formate, vor allem da, wo eher Inhalte vermittelt werden, kann das interessant sein, wenn die Leute nicht einen weiten Weg auf sich nehmen müssen und direkt daheim unterhalten werden. Ich kann mir vorstellen, dass das in Zukunft eine größere Rolle spielen wird. Erst kürzlich durfte ich eine interaktive Online-Firmenfeier aus der Küche eines bekannten Fernsehkochs als DJ begleiten. Aber spätestens in dem Moment, wenn zum Ausklang die Tische auf die Seite geschoben und die Leute anfangen würden ausgelassen zu feiern, stoßen solche Online-Formate an ihre Grenzen. Dies gilt umso mehr für Konzerte oder Clubs, die einen erst richtig durch die Atmosphäre vor Ort und das physische Erleben der Lautstärke und allem gefangen nehmen. So macht auch ein Trommelkurs allein vor dem Laptop eben nur halb so viel Spaß wie gemeinsam in einem Raum mit vielen anderen. Das ist durch nichts zu ersetzen.

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Wenn die Frage so gemeint ist, was ich mir von der Politik für die Zeit nach Corona wünsche, dann möchte ich antworten: Radikalere Denkansätze und bedingungsloses Grundeinkommen jetzt! Das war auch mein erster Gedanke, als im Frühjahr der erste Lock-Down (der letztlich ja keiner war) ausgerufen wurde. Wenn die Strategie gegen die Ausbreitung des Virus es verlangt, dass wir dem Virus jegliche Übertragungsmöglichkeit nehmen, warum müssen dann so viele Menschen trotzdem weiterarbeiten? Alle reden von Systemrelevanz und meinen damit eigentlich Krisenrelevanz. Das System in Frage zu stellen kommt nicht in die Tüte, und damit der Wirtschaftsladen weiterlaufen kann, reiben sich unterbezahlte "Heldinnen" auf. Anstatt Milliarden-Hilfspakete zu schnüren und am Ende doch wieder nur mehr Unzufriedenheit und Unverständnis in der Gesellschaft zu generieren (erinnern wir uns an die Abwrackprämie), wäre es in meinen Augen ein wirklich beeindruckendes Signal gewesen, unseren kompletten Staat auf Pause zu setzen. Kein Geldverkehr, keine Löhne, keine Mieten, keine Zinsen, keine Existenzängste, keine milliardenschwere Krisengewinner, die nicht mal Steuern zahlen usw. 

"You may say I'm a dreamer ..." John Lennon
"Ohne Geld wäre Armut gar nicht denkbar." Gerhard Polt


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